Geschichte

Rather Modell/ Verein/ Geschichte

In den 1990er Jahren wurde von aufmerksamen Mitarbeitenden in Schulen und im Schulamt der Landeshauptstadt Düsseldorf eine zunehmende Zahl von Schulversäumnissen beobachtet.

In der Folge wurden statistische Daten ausgewertet, die dem Schulamt zur Verfügung standen. Diese ließen erkennen, dass bei zahlreichen Schülerinnen und Schülern, die schulisch-pädagogischen und schulrechtlichen Möglichkeiten nicht zum gewünschten Erfolg führten. Auch Schülerinnen und Schüler, die Ordnungsmaßnahmen, Ordnungswidrigkeitsverfahren und weiteres durchlaufen hatten, konnten zu einem erschreckend hohen Maß nicht wieder für die Schule gewonnen werden.

Bei der Betrachtung einzelner Biografien und Schullaufbahnen wurde deutlich, dass das „traditionelle Paradigma mit seiner Verkürzung auf objektive Tatbestände bzw. auffällige Erscheinungsweisen, die an der Problematik der Jugendlichen „festgemacht“ werden, der Komplexität des Problems Schulschwänzens nicht gerecht wird.“ (Dr. KH Saueressig 1997, Schulamt).

Es wurden zahlreiche Komponenten festgestellt, die zu Schulabsentismus führen können: Schulängste und –phobien, beeinträchtigtes Selbstwertgefühl, Familienkrisen, Verwahrlosung, Missbrauchserlebnisse, ungünstige Wohnsituationen, beengte Wohnverhältnisse, alleinerziehende überlastete Elternteile, Langzeitarbeitslosigkeit in der Familie u.a.m.

Aus diesem komplexen und sehr differenten Bild bezüglich belastender Lebenssituationen, die schließlich in Schulabsentismus münden und dadurch endlich sichtbar werden, ergab sich bei den Verantwortlichen die Fragestellung, wie diesen Jugendlichen entsprochen und hilfreich begegnet werden kann. Denn so viel war deutlich: Strafe war nicht die passende Antwort auf schwierige Ausgangslagen und nachweislich bei vielen Jugendlichen daher auch keine Lösung, die zum Erfolg geführt hätte.

Ein Projekt sollte dazu dienen, die Kenntnisse bezüglich des Phänomens Schulverweigerung zu vertiefen und passende Hilfen zu konzeptionieren.

Im Frühjahr 1996 waren die Vorbereitungen im gemeinsamen Findungsprozess zwischen Jugendamt, Schulamt und Schulen so weit abgeschlossen, dass mit dem Schuljahr 1996/1997 ein erstes Projekt erprobt werden konnte.

Dieses erste Projekt bestand aus zwei Gruppen in unterschiedlichen Settings:

  1. eine Gruppe in der Jugendfreizeiteinrichtung Ekkehardstraße (Düsseldorf Rath)
  2. eine Gruppe als gesonderte Klasse an der Schule für Erziehungshilfe Schönaustraße.

Bald wurde deutlich, dass es nicht zielführend ist, ein Projekt für Schulverweigerer an einer Schule anzusiedeln. Sowohl die Stigmatisierung ergab eine Hürde als auch das Triggern (Schlüsselreiz) von Ängsten und Vorbehalten.

Daher wurde das Projekt an der Schönaustraße eingestellt und mithilfe der AWO im Berufsbildungswerk (BBZ) am Flinger Broich eine neue Gruppe eröffnet. Schnell erwies sich das vernetzte Konzept zwischen Jugendhilfe und Schule als günstig und wurde zur Vorlage für weitere Projekte.

Am 22.05.1997 wurde das „Rather Modell“ als gemeinnütziger Verein beim Amtsgericht Düsseldorf eingetragen. Mit seinem Namen kennzeichnet der Verein, dass das Gründungsprojekt im Stadtteil Rath ein Modell für nachfolgende Hilfeleistungen im Verbund zwischen Schule und Jugendhilfe darstellt.

Dabei sollten bestimmte Ansätze Grundlage der pädagogischen Arbeit bilden:

  • Die Jugendlichen benötigen sehr niedrigschwellige Angebote, um sich überhaupt sich auf eine Gruppe und das Lernen wieder einlassen zu können, mit Aufgaben, die sichtbar und möglichst schnell zum Erfolg führen (deshalb u.a. auch in jedem Projekt künstlerische und handwerkliche Angebote).
  • Die Jugendlichen brauchen familienähnliche Strukturen und Situationen zum Aufbau tragfähiger Beziehungen, die einen Gegenpol zu Beziehungsabbrüchen und Bindungsenttäuschungen in den Herkunftsfamilien und der bisherigen Schullaufbahn darstellen.
  • Die Jugendlichen benötigen einen relativ offenen Rahmen, der nur wesentliche feste Eckpunkte und Orientierungshilfen beinhaltet und nicht Provokation für Regelbruch, Widerstand und Institutionenflucht darstellt.
  • Die Jugendlichen benötigen ein gestuftes soziales Angebot im häufigen Wechsel zwischen Einzel- und Gruppenarbeit, um dem beobachtbaren Rückzugsbedürfnis der Jugendlichen gerecht werden zu können.
  • Die Jugendlichen benötigen Unterstützung in einer konstruktiven Identitätsfindung. Hilfreich ist hier die Möglichkeit zur Identifikation mit einem sicheren Ort in einer wohlwollenden Gemeinschaft. Sie dient u.a. der Motivationssteigerung  wieder gesehen werden, „hier bleiben“ und mitmachen zu wollen.

Im Laufe der Jahre entwickelten sich unter dem Dach „Rather Modell“ vier Projekte mit jeweils unterschiedlichen Trägern und Kooperationspartnern aus Schule und Jugendhilfe. Jedes Projekt wird geführt von ein oder zwei Schulen und einem Jugendhilfeträger. Da unterschiedliche Schulen und Schulformen beteiligt sind, ergibt sich eine vielfältige Landschaft (siehe Seite Standorte/ Link), die über die Jahre hinweg notwendige Anpassungen durchlaufen hat. So wurde 2013 ein Standort mit vorwiegend präventivem Charakter in Form von Ganztagsbetreuung an der Graf-Recke-Straße umgewandelt, als der Ganztag und die Schulsozialarbeit flächendeckend in den Düsseldorfer Schulen einzogen.  Gegründet wurde mit den Ressourcen dieses Standortes ein dem Modell entsprechend aufgestellter Standort für Grundschüler*innen. Dort musste man aber bald erkennen, dass das Konzept für Jugendliche nicht 1:1 auf Kinder zu übertragen ist. Schließlich durchlief dieses Projekt einen weiteren Wandel und hat heute einen aufsuchenden Charakter (siehe Rather Modell Nord).

Das Rather Modell hat in den Jahren seit seiner Gründung zahlreichen Jugendlichen zu schulisch-beruflichen Perspektiven, zu Schulabschlüssen, zum Übergang in berufliche Ausbildungs- oder berufsvorbereitende Maßnahmen und zu sozialer Integration verholfen. Grundschüler*innen des Standortes Nord konnten wieder in ihre Stammschulen integriert und an Lernfreude herangeführt werden.

Das Rather Modell  war Vorreiter in einer Schullandschaft, die das Thema Schulverweigerung über viele Jahre tabuisiert und übersehen hat. Und es war Vorbild für etliche Projekte und Maßnahmen an anderen Orten bundesweit. Heute ist das Thema Schulverweigerung in den Schulen und in der Politik, in den Kommunen und Behörden angekommen. Es sind in zahlreichen Regionen Konzeptionen, Projekte und Handreichungen zur Abwendung und Vermeidung von Schulverweigerung entstanden. Schulen erproben unterschiedliche Maßnahmen und Födermöglichkeiten. Und dennoch steigt die Zahl der Schulverweigerer und sinkt das Alter der Kinder, die sich von Schule entfernen.

Die Beschäftigung mit dem Thema Schulverweigerung ist daher noch lange nicht beendet.

Eine Antwort der Stadt Düsseldorf ist die Gründung der Fachstelle Schulverweigerung im Jahr 2012. Sie hat den Auftrag, Schulen darin zu unterstützen, schuleigene Konzeptionen zur Prävention von und Intervention bei Schulverweigerung zu erstellen, die in Schule und Jugendhilfe Tätigen für das Thema weiter zu sensibilisieren und sie fortzubilden sowie Netzwerke zu schaffen, die das Thema abgestimmt aufnehmen und angehen können (Siehe Fachstelle Schulverweigerung).